Aktuelles

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Bild: Regisseur David Bernet (Mitte) und Prof. Dr. Dieter Kugelmann, Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz, mit naxos-Moderatorin Ruth Fühner.

Seit Jahren ringt die EU um ein Gesetz, das persönlichen Daten besser schützen soll. Warum das so lange dauert, zeigte der Dokumentarfilm „Democracy - im Rausch der Daten“ am 12. April 2022 auf naxos. Er gewährte Einblicke in sonst verschlossene Verhandlungsräume, in denen ein Gesetz EU-Bürgern in der digitalen Welt bessere Kontrolle über ihre persönlichen Informationen geben soll.

Der Film zeigte Mosaiksteine der Kompromisssuche: Politiker, Wirtschaftsverbände und Bürgerrechtler versuchen, das Gesetz nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. Lobbyisten stehen Schlange, Minister warnen vor Lasten für Unternehmen, sie befürchten, dass Arbeitsplätze in Gefahr sind. Kann die Politik mit ihren Gesetzen mit dem Tempo der digitalen Entwicklung Schritt halten?

„Mein Ziel war: ich folge einem Gesetz“, so Regisseur Bernet. Dazu sei eine lange Vorbereitung nötig gewesen, um beiderseitiges Verständnis und Vertrauen zwischen Abgeordneten und Filmcrew aufzubauen, zumal sogar die Familien der EU-Abgeordneten oft nicht wüssten, was in Brüssel abläuft. „Mein Versprechen an die Abgeordneten war, dass nichts an die Öffentlichkeit geht, bevor der Film beendet ist“, so Bernet. Erschwerend hinzu gekommen sei der jeweils halbjährige Wechsel zu neuer Präsidentschaft, was das Einholen neuer Einverständnisse zum Dreh beinhaltet habe.

Laut Datenschützer Kugelmann sei das Besondere am Film, dass das Thema Datenschutz mit all seinen Problemen verständlich dargestellt worden sei: „Daten über Individuen und wohin sie fließen“. Whistleblower Edward Snowden sei als „deus ex machina“ ein „dramaturgischer Glücksfall“ für den Film gewesen, da er die Problematik der Überwachung deutlich ausgesprochen habe. Die Entscheidung, ihre Daten bei Online-Buchungen offenzulegen liege letztlich beim Verbraucher. Das damit verbundene Vertrauen in den Datenschutz der Anbieter müsse jedoch gewährleistet sein. So dürften keinerlei Verhaltensmuster eingestellt sein, die „den User auf eine vom Anbieter gewünschte Reise schicken“.

„Demokratie heißt für mich freie Wahl im Sinn von Meinungsfreiheit in Verbindung mit dem Grundgesetz als Schutz des Individuums“, so Bernet. Dies sei eine „junge Kultur, die beide Seiten der Medaille berücksichtigen muss“, wobei bei aktuellen User-Entscheidungen die digitale Realität längst weiter fortgeschritten sei. Beispiel anonyme Studien, die als Grundlagen für irgendwelche Vorlagen dienen sollen, deren Auftraggeber und Finanzierung jedoch im Unklaren blieben. „Deshalb sind Transparenzregeln äußerst wichtig: Wer zahlt die Studie, wer gibt sie in Auftrag und veröffentlicht die Ergebnisse?“ Lobbyismus müsse absolut transparent sein.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 14. April 2022

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Bild: Frieda Nastold (l.) ist Künstlerin, Kunstwissenschaftlerin, feministische Aktivistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „FemPower“ an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Naxos-Moderation Christina Budde hatte sie zum Filmgespräch eingeladen.

Seit etwa 100 Jahren ist man davon ausgegangen, dass Künstler wie Kandinsky, Mondrian oder Malewitsch zu den Mitbegründern der Abstrakten Kunst gehören. Doch in den 1980ern stellte sich heraus, dass die Schwedin Hilma af Klint (1862-1944) bereits 1906 ihr erstes abstraktes Werk schuf. Im Laufe ihrer unbekannten Karriere malte sie mehr als 1.200 Bilder, die sie zeitlebens nicht ausstellte. Mit ihrem Tod verfügte sie, dass dies erst frühestens 20 Jahre nach ihrem Tod geschehen dürfe. So wurden ihre Werke erst in den 80er-Jahren weltbekannt. Das naxos-Kino näherte sich der Künstlerin am 5. April 2022 mit dem Dokumentarfilm „Jenseits des Sichtbaren – Hilma af Klint“ cineastisch an.

Der Film erfrische Augen und Geist, so Christina Budde anschließend. Visuelle Ausdrücke erhielten sehr viel Raum, bestätigte Frieda Nastold. Gestolpert sei sie jedoch über die Eröffnung des Films gerade durch einen Mann. Auch das Frauennetzwerk wie ebenfalls die feministische Komponente Klints kämen ein wenig zu kurz. So habe sie erst 2013 erstmals eine Klingt-Ausstellung gesehen. „Wir müssen die Kunstgeschichte umschreiben“, sagte Nastold, denn in jeder Epoche seien Fragen nach Künstlerinnen gestellt worden.

Da Klint aus einer wohlhabenden Familie des niedrigen Adels stammte, sei sie eigentlich bestimmten gesellschaftlichen Zwängen unterworfen, warf Budde ein. Als unverheiratete Frau habe sie jedoch mit Mut und Stärke ihr eigenes Projekt durchgezogen – ohne Ehe, Kinder und gesellschaftliche Integration, so Nastold. Mit dem Kunstbetrieb sei sie pragmatisch umgegangen: Kunststudium, kleinere Ausstellungen als Mittel zum Überleben. Sie hätte als Portrait- oder Landschaftsmalerin reüssieren können, habe sich aber durch ihre Abstrakt-Malerei dagegen gewehrt.

Und das in einer Zeitgebundenheit mit männlicher Dominanz und negativer weiblicher Rezeption, so Budde. Finanziell überlebt habe sie durch eine Hausgemeinschaft mit zwei anderen Frauen, kleinere Verkäufe von Illustrationen sowie durch eine Freundin, die ihr Atelier finanziert habe. Auf dieser Basis habe sie die künstlerische Gleichberechtigung gegenüber den damaligen männlichen Stars des Abstrakten angestrebt, meinte Nastold. Näheres gehe aus ihren mehr als 26.000 Notizbuchseiten hervor. Immerhin, seit 1906 hat sie nur noch abstrakt gemalt. Weil sie sich nicht auf der Sichtbarkeit der Dinge ausruht und alles durcheinander bringt, tue sich die Kunstgeschichte mit ihr sehr schwer.

Obwohl laut Nastold heute weibliche Studierende die Mehrheit an den Kunsthochschulen bildeten, würden Künstlerinnen aus männlicher Sicht immer noch angezweifelt. Dazu zitierte Budde den international bekannten deutschen Maler, Bildhauer und Grafiker Georg Baselitz: „Frauen malen nicht so gut“. Nastolds Reaktion: Das ist eine Lüge“.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 07. April 2022

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Bild: Im Mittepunkt des Filmgesprächs zwischen naxos-Moderatorin Bettina Budde (r.) und Grit Weber, stellvertretende Direktorin, Kuratorin für Design, Kunst, Medien am Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, stand der oftmals als Pestbeule benannte Monobloc-Stuhl.

Man verbindet ihn in unseren Breiten eher mit Bierbäuchen, Adiletten, Jogging-Anzügen und Schnellrestaurants. Er ist immer da: im Garten, vor der Wochenendlaube, beim Kiosk am Badesee. Trotzdem hat er es zu einem gewissen Designklassiker geschafft. Eine Milliarde Exemplare soll es weltweit davon geben. Der Dokumentarfilm „Monobloc" von Hauke Wendler stellte am 29. März 2022 im naxos-Kino den stapelbaren Plastikstuhl in den Fokus.

Die Stühle sind aus einem Stück gefertigt. Etwa 50 Sekunden dauert die Herstellung. Denn nicht nur Zeit, auch Material ist Geld. Noch billiger, noch praktischer geht es nicht. Ansprüche an Qualität, Ästhetik und Umweltverträglichkeit haben im reichen Europa ihre Berechtigung. In ärmeren Ländern aber gelten andere Maßstäbe. Es ist das Verdienst des Films, den eurozentrischen Blick auf die Dinge zu durchbrechen.

Grit Weber vom Museum Angewandte Kunst in Frankfurt sah im Stuhl das Beispiel eines industriellen Gegenstands, dessen Reichweite sich von ursprünglich Italien und Frankreich später auch nach Asien, Afrika und den USA erweiterte. „Der Regisseur geht im Film immer wieder nah an Personen heran, deren Leben der Stuhl bereichert. Andererseits nimmt er immer wieder eine reflektierende Distanz zum Objekt ein“, sagte Weber. So verachte man ihn in Europa häufig als westliche Dekadenz, während er in anderen Kontinenten als komfortable Sitzgelegenheit und, umgebaut, als Rollstuhl für arme und kranke Menschen diene.

Der Monobloc wurde als Industrieprodukt entworfen, produziert, vertrieben, ohne weiter nachverfolgt zu werden, stellte naxos-Moderatorin Christina Budde fest. „Bei uns wurde der Stuhl an den Rand unserer Wahrnehmung gedrängt“, meinte Weber. Man wolle den Massenartikel nicht mehr sehen. Auf anderen Kontinenten hingegen werde der Stuhl anderen Bedürfnissen angepasst, etwa über NGOs als Rollstuhl für einen Großteil der weltweit rund 70 Millionen gelähmten Menschen.

Hässlich, nützlich, recycelbar, Mittel zum Zweck für untere Einkommensgruppen, neutral durch die Farbe Weiß, die ihn überall hinpassen lässt, so die Reaktionen des Publikums auf Buddes Frage, wie es denn sie mit dem Stuhl hielten. Doch hätten Designer auch wertige Lifestylestühle entworfen, so Budde weiter. Das schon bestätigte Weber, dort gebe es jedoch Probleme mit dem Recycling. Der Monobloc „findet noch in der Welt statt“, deshalb brauche er nicht als Sammelstück im Museum zu stehen. Sollten wir deshalb unsere Einstellung nicht relativieren, fragte Budde nach. Die Frage nach der Ästhetik stelle sich laut Weber für die Käufer nicht, da er als Massenprodukt als Mittel zum Zweck gelte. „Aber der Regisseur zwingt uns dazu, indem er den Stuhl zum Kulturgegenstand macht“, so Weber, „jeder hat seine Konsumentscheidung selbst getroffen“,

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 07. April 2022

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Bild: naxos-Moderatorin Ruth Fühner am 22. März 2022 im Gespräch mit Gedenkstättenpädagoge und Kurator Gottfried Kößler.

Fünf Jahre hat der israelische Regisseur Arnon Goldfinger an seinem Dokumentarfilm „Die Wohnung" gearbeitet. Er beleuchtet darin eine deutsch-jüdische Geschichte: Als Gerda Tuchler mit 98 Jahren in Tel Aviv stirbt, trifft sich die Familie zur Wohnungsauflösung. Inmitten unzähliger Briefe, Fotos und Dokumente entdeckt ihr Enkel Spuren einer unbekannten Vergangenheit. Die Großeltern waren mit einem SS-Offizier befreundet. Goldfinger wagt einen Blick darauf, wie die zweite und dritte Generation nach dem Holocaust mit Erinnerung und Geschichte umgeht. Dabei zeigt er, wie komplex die Beziehungen zwischen Israelis und Deutschen seit dem Zweiten Weltkrieg sind. Im Zentrum der Spurensuche stehen Fragen nach Identität und Zugehörigkeit, nach Verdrängung und Gedenken.

Gleichzeitig die Realität und eine Spurensuche nach der Flucht aus Deutschland abzubilden, zeichne laut Kößler den Film aus. Da die Suche aber keinen Abschluss findet, wirke der Film „ein bisschen konstruiert“. Denn das Problem für den Regisseur sei, gleichzeitig Darsteller und Protagonist zu sein. Darüber hinaus stehe die erste Generation vor dem Problem, als Betroffene zum Thema Holocaust zu schweigen, während die zweite Generation mit dem Problem lebe, dies zu hinterfragen. Erst die dritte Generation, der der Regisseur angehört, stelle dann konkrete Fragen nach Opfern und Tätern. Leider seien die damaligen Zeitzeugen inzwischen verstorben, so der Gedenkstättenpädagoge. Insofern fragte Ruth Fühner nach dem Sinn, sich an die Geschichte der Vorfahren zu erinnern.

Es gehe dabei im Wesentlichen um Erlösung, weniger um Versöhnung, meinte Kößler. In diesem Zusammenhang müsse Erinnerung thematisiert werden, um nicht in die gegenwärtige Zeit zu rücken. Warum die dritte Generation nicht nachfrage, begründete der Kurator mit dem Hinweis darauf, dass Zionismus mit Krieg und Gewalt einst ein „Jetzt“ war, wohingegen es Überlebende in Israel jetzt nicht mehr gebe. So erfuhr der Regisseur die wesentlichen Aufklärungen aus seinen Besuchen der Archive, weil er keine Zeitzeugen mehr fand.

Eine Studie über die dritte Generation zum Funktionieren der Familie im Dritten Reich kam zu dem Ergebnis: Opa war kein Nazi, das heißt, die Enkel wollten ihre Großeltern nicht als Nazis verstanden wissen. Beispiel aus der Literatur der 1968er und folgenden Jahre, wo man sich eher auf die kommunistische Variante der Eltern und Großeltern konzentrierte: „Der rote Großvater erzählt“. Erst in den 1980er Jahren rückte das Thema durch die Hollywood-Reihe „Holocaust“ verstärkt in die damalige Gegenwart zurück.

Fühner fragte abschließend , wie denn die vierte Generation zum Thema stehe.. Nach Kößlers Ansicht, handelt es sich dabei um eine „heterogene Gesellschaft mit unterschiedlichen Migrationshintergründen“. So werde Flucht und Vertreibung heute anders wahrgenommen als Jahre oder Jahrzehnte zuvor. „Der Umgang und die Auseinandersetzung damit bleibt aber spannend“.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 07. April 2022

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Bild: Gelungene Filmgesprächs-Premiere für naxos-Moderatorin Ruth Fühner (r.) am 15. März 2022 mit Regisseur, Autor und Produzent Asteris Kutulas (Mitte) sowie Komponist und Musikproduzent Alexandros Karozas (l.).

„Der Film ist im Grunde eine Verfolgungsjagd“, so bezeichnete Regisseur Asteris Kutulas im anschließenden Gespräch die gezeigten Aufnahmen von „Dance Fight Love Die - Unterwegs mit Mikis Theodorakis“ im naxos-Kino. Zwischen 1987 und 2017 hatte er den Musiker und Komponisten mit der Videokamera privat, im Studio und auf Tourneen begleitet. Irgendwann wurde eine Kiste mit den alten Kassetten, Rollen und Videos darüber gefunden. Und nach neun Monaten war das Material schließlich gesichtet und lag zur Bearbeitung vor: eine aus 600 Stunden entstandene Bild- und Ton-Collage.

Von den kurz aufeinanderfolgenden Sequenzen aus symphonischen Opern, Liedern, Texten und hineingeschnittenen Animationen drohe dem Publikum die Gefahr einer Überforderung. räumte der Regisseur ein. Zwar würde ein Musiker dergleichen niemals machen, meinte Musikproduzent Karozas. jedoch korrespondierten in diesem Fall die Schnitte mit der jeweiligen Musik.

Fühner war überrascht, wie wenig sie die Musik Theodorakis` kannte und fragte, auf welchen Bühnen er denn nach seinem Tod mit seinem Werk zu finden sei. Weil seine Opern lang und kompliziert gewesen seien, habe er immer selbst dirigiert: „das war ein Wahnsinn“, sagte Karozas, „ich habe aber keinen Überblick, wo seine Musik heute gespielt wird“. Kutulas ergänzte, dass die Opern von Theodorakis heute kaum mehr gespielt würden. Die Rechte an dessen Musik hielten der Schott-Verlag, Mainz, sowie Breitkopf & Härtel, Wiesbaden.

Karozas würdigte Theodorakis nicht nur als musikalische Größe, sondern vor allem auch als einen politischen Menschen, der sich immer für die Freiheit engagiert habe. „Er zeigt Lebenswillen mit Einsatz für die Freiheit“, ergänzte Fühner. Kutulas zufolge sei er auch Lyriker und Poet gewesen, der bereits vor seiner musikalischen Karriere Gedichte veröffentlicht hatte. Jahre später wollte er einige davon vertonen, die er allerdings dann leicht umschreiben musste. „Zu seinem Kompositionsprinzip habe ich versucht, entsprechende Bilder auszuwählen und wollte gar nicht raus aus dieser Wolke aus Musik, Film, Lyrik und persönlichem Erleben“.

Für wen denn Kutulas den Film gemacht habe, fragte Fühner abschließend. Antwort Karozas: „Den hat er nur für sich selbst gemacht“. Kutulas bestätigte dies indirekt, indem er darauf hinwies, dass heutzutage in Griechenland etwa nur noch zehn Prozent der Bevölkerung die Musik von Theodorakis bekannt sei.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 07. April 2022

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Filmgespräch mit v.l.n.r. Ex-MdB Ulli Nissen, Prof. Dr. Helma Lutz und naxos-Moderatorin Christina Budde.

Engagierte Frauen in der Politik der Bonner Republik: Der Dokumentationsfilm „Die Unbeugsamen“ zeigte eine Chronik der Emanzipation gegen erfolgsbesessene und amtstrunkene Männer. „Können wir uns heute alle entspannt zurücklehnen?“, fragte naxos-Moderatorin Christina Budde zu Beginn des Filmgesprächs am Weltfrauentag ihre Gesprächspartnerinnen. Das waren Prof. Dr. Helma Lutz, die von 2007 bis 2021 den Lehrstuhl für Soziologie mit Schwerpunkt Frauen- u. Genderforschung an der Goethe-Uni Frankfurt innehatte, und die bis 2021 in zwei Legislaturperioden aktive SPD-Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen.

Die vielen Einzelkämpferinnen während der Bonner Republik hätten zu einer erhöhten Solidarität beigetragen, meinte Lutz, denn heute schmunzele man über die Darstellung grober Maskulinität, die aktuell jedoch weitaus subtiler sei. Nissen, deren Motto „Stark für die Schwachen, laut für die Leisem“ ist, bestätigte das, denn Störungen und verbale Verletzungen während ihrer Zeit im Bundestag seien an der Tagesordnung gewesen. Despektierliche Zwischenrufe würden heute nicht mehr gehört, jedoch im Protokoll festgehalten und somit nachweisbar.

Aus heutiger Sicht zeige der Film das bräsig Beleidigende in ironisch-amüsanter Form, sagte Budde und fragte nach, ob dieses Phänomen in der Versenkung verschwunden sei. Ihre erste Legislaturperiode sei von parteiübergreifender Zusammenarbeit gekennzeichnet gewesen, sagte Nissen. Doch ab 2017 sei ein „fürchterlicher Wandel“ im Umgang miteinander und vor allem durch sexuelle Zwischenrufe gegenüber Frauen durch die AfD im Bundestag eingetreten. Auch die sog. me-too-Bewegung habe keinerlei Veränderungen in den Bundestag gebracht, außer, dass sich alle Parteien gegen die AfD solidarisiert hätten.

Warum denn Macht immer noch von Männern dominiert werde, wollte Budde wissen. Eine konkrete Antwort sei ihr nicht parat, meinte Lutz. Aber als positives Beispiel, wie Männersprüche „ins Leere laufen“ und dabei Macht nicht öffentlich demonstriert werde, nannte sie Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Sie habe sich zu Angriffen gegen ihre Person nie öffentlich geäußert, sondern sie mit Schweigen übergangen. Es bleibe aber die Frage, ob das nachhaltig wirke. Im Sinne des Filmtitels gehöre Merkel eindeutig zu den Unbeugsamen, allein schon durch ihren Spruch „Wir schaffen das“, bestätigte Nissen.

Entwicklungen wie etwa gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Ehegatten-Splitting, Eltern- und Teilzeitarbeit, Familienmodell und Care-Arbeit gegenüber alternden Eltern müssten deutlich unterstützt werden, forderte Lutz. Dennoch gelte das Arbeitsleben weiterhin als Taktgeber für das Familienleben. Nissen gab sich hoffnungsvoll, indem sie darauf hinwies, dass auch Politiker altern und den Wandel erlebten, sich dieser Situation stellen müssten und damit zum Wandel beitragen würden.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 07. April 2022

Pünktlich zum 100 Geburtstag von Pasolini zeigte das Kulturhaurhaus Frankfurt in Kooperation mit dem naxos.KINO DAS 1. EVANGELIUM - MATTHÄUS aus dem Jahre 1964.

Das anschließende Filmgespräch versuchte nun, nach der Wucht dieses poethischen Meisterwerks, zum einen über diesen Film die Diskussion zu entfachen zum anderen auch eine Überleitung zu schaffen zum gegenwärtigen Stück: JUDAS von LOT VEKEMANS.

Für diese Inszenierung saßen auf dem Podium: Andrea Gerhold (Regie) und Kevin Silvergieter (Schauspiel) .
Als theologischer Sachverständiger Veit Dinkelaker vom Bibel Erlebnis Museum.

Auf die Frage: ob denn Pasolini alles 'richtig' gemacht habe?:

- Ja das "Libretto" sei textgenau ausschließlich aus dem Matthäus Evangelium ohne Hinzufügungen; 'richtig' sei bei künstlerichen Antworten natürlich immer offen...

In der Folge wurde die Frage nach dem Standpunkt der gegenwärtigen Theologie zu den Wundern erörtet; die Evangelien als Text gesehen waren in ihrem antiken Kontext die einzige Textsammlung, die nicht als Auftragswerk von  Mächtigen zu sehen sind; Wunderwirkungen seien allgemeiner Topos der damaligen Herrschaftsinszenierung.

Der Film Pasolinis zeige sehr poethisch die Metaphorik von Wundern.

Hier fanden auch Andrea Gerhold und Kevin Silvergieter einen Ansatzpunkt, um die Grundideen ihrer Inszenierung darzulegen.
Von diesen auch der Einwand, dass die Pasolinische Jesus-Figur eigentlich keineswegs sanft und sympatisch sei - sich hier wie in ihrer Theaterinszenierung auch die Frage zeigt: wie Abhängigkeit schaffende Vorbildfiguren und bedingungslose Follower entstehen...

Die Evanglien als Textsorte für die Ausformung existenzieller Fragen zu sehen, die immer wieder zeitgemäße - auch atheistische Antworten erfordern. Ihre Inszenierung zur Doppelfigur Jesus/ Judas solle viele Fragen ermöglichen.

Auch aus dem Publikum viel Zuspruch zu Paloninis Meiterwerk: da der Film ganz großartig Geschichte/n ohne Worte erzähle - nur in den Gesichtern der Menschen widergespiegelt; lange Einstellungen, die im schnell-schnittigen Gegenwartskino schwer vorstellbar geworden sind.

Hier zeigt sich Pasolinis Auffassung von Schönheit, die immer eine moralische sei, damit eine Brücke schaffend zwischen Antike und Moderne, fassbar aber nur im Kreise außerhalb von Macht und Bürgertum - also auch mit marxscher Begrifflichkeit nicht wirklich zu fassen.

Ist die Doppelexistenz von Judas/ Jesus eine psychologisch-anthropologische Bildungsfigur (Verrat und Wirksamkeit), die in ihrer Ambivalenz z. B. auch bei Rumpelstilzchen wieder auflebt?

Diese Abschlussfrage des Moderators Wolfgang Voss blieb im Raum stehen...

 

HINWEIS AUF DIE FOLGEVERANSTALTUNGEN der Reihe KINO IM KULTURHAUS:

- am 03.04. zum Theaterstück WOYZECK der Film ADDIO PICCOLA MIA von LOTHAR WARNEKE, DEFA, 1978
- am 08.05. zum Programm Songs und Texte von Degenhardt/Wader/Wecker SPIEL NICHT MIT DEN SCHMUDDELKINDERN zeigt das KULTURHAUS FRANKFURT den Film ZÜNDSCHNÜRE von REINHARD HAUFF
jeweis 19:00 Uhr.

 

Zum 100-jährigen Geburtstag von Pasolini zwei aktuelle Quellen:

- FAZ: https://m.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/filmregisseur-und-dichter-pasolini-zum-100-geburtstag-17852368.amp.html

- DLF: https://www.deutschlandfunkkultur.de/pier-paolo-pasolini-regisseur-schriftsteller-100.html

 

Zuletzt aktualisiert: 08. März 2022

Mitteilung über die Wiederaufnahme des Spielbetriebs
und die Fortsetzung der Dokumentarfilmreihen 2022 inklusive der anschließenden Filmgespräche:

 

- Start ist am 8. März 2022 um 19:30 Uhr mit der Dokumentation „Die Unbeugsamen“ von Torsten Körner, Deutschland 2020.

- Am 15. März 2022 um 19:30 Uhr zeigt das naxos.Kino den Dokumentarfilm „DANCE FIGHT LOVE DIE – Unterwegs mit Mikis Theodorakis“ von Asteris Kutalas, Deutschland 2017.

- Am 22. März 2022 um 19:30 Uhr folgt „Die Wohnung“ von Arnon Goldfinger, Israel/Deutschland 2011.

- Am 29. März 2022 um 19:30 Uhr schließt mit „Monobloc“ von Hauke Wendler, Deutschland 2021, das Märzprogramm ab.

Bitte beachten Sie, dass ein Kinobesuch derzeit nur mit folgenden Nachweisen möglich ist:

- 3G-Regel bei mehr als 10 Teilnehmenden/Zuschauenden

 https://www.hessen.de/presse/landesregierung-erneuert-corona-schutzverordnung

- Bitte den Nachweis beim Einlass zusammen mit einem gültigen Ausweisdokument vorzuzeigen.

- Es gilt nach wie vor das Abstands- und Hygienekonzept. - Im Kino gilt Maskenpflicht auch während der Vorstellung.

- Darüber hinaus ist im Kino-Saal eine hochleistungsfähige Luftaustauschanlage installiert.

naxos.Kino – Dokumentarfilm & Gespräch e.V. im Theater Willy Praml – Naxoshalle, Waldschmidtstraße 19 / Hinterhof rechts.

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SONNTAG, 6.MÄRZ STARTET SCHON um 19:00 UHR ein zusätzlicher naxos.KINO - K i K K = Kino-im-Kulturhaus-Kooperation:

Die neue Kooperations-Reihe „Kino im Kulturhaus“, präsentiert Filme, die Bezug zum Theater haben und meist mit den Stücken korrespondieren, die  Kulturhaus Frankfurt gezeigt werden.

START AM 06.03.2022 | 19 Uhr:  DAS 1. EVANGELIUM - MATTHÄUS, Spielfilm von PIER PAOLO PASOLINI, Italien, 1964, 130 Min.

Im Anschluß an den Film gibt es ein Filmgespräch mit Veit Dinkelaker (Direktor des BibelhausErlebnisMuseum), Andrea Gerlach und Kevin Silvergieter, (Regisseurin und Schauspieler des Theaterstücks „Judas“ von Lot Vekemans), moderiert von Wolfgang Voss (Kurator der Filmreihe).

Das Kulturhaus Frankfurt richtet sein Augenmerk neben Theateraufführungen auch auf theaterpädagogische Arbeit. Hier sehen wir die Möglichkeit, einem jungen Publikum weitere Perspektiven durch Film zu verschaffen und den Theaterbesuch mit einem überraschenden Rahmen zu bereichern. Beim Filmbesuch wiederum Lust auf das umgebende Theaterangebot zu machen...

 

KULTURHAUS FRANKFURT

Eintrittspreis: 10 Euro | ermäßigt 8 Euro

Reservierung: Telefon 06994412360

Mail:  Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

WWW:  www.kulturhaus-frankfurt.de

 

Zuletzt aktualisiert: 07. März 2022

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Bild: Naxos-Moderation Carola Benninghoven (r.) im Gespräch mit Inge Günther, Israel-Korrespondentin der FR, und Daniel Cohn-Bendit.

„Ich kann mich nicht aus der Geschichte der Juden herausbeamen“, sagt Daniel Cohn-Bendit am 9. November 2021 im naxos-Kino. In seinem Dokumentarfilm „Wir sind alle deutsche Juden“ fragt er sich daher, was es bedeutet, Jude zu sein. In seinem Film begibt er sich auf die persönliche Suche nach seinem eigenen Judentum.

Der inzwischen 76-Jährige fragt sich, wie er sich jüdisch fühlen könne, ohne überhaupt jüdisch zu leben. Immerhin sagt er im Film an seinen älteren Bruder Gabi (Gabriel) gewandt, er sei Jude, auch wenn er nicht erklären könne, was es für ihn bedeutet. Er versuche, „die Frage nach meiner jüdischen Identität zu klären. Deshalb sollte der Film radikal subjektiv sein“, so Cohn-Bendit. Es sei ihm bereits während seiner zahlreichen Recherchen vor dem Film „vieles klarer geworden, etwa meine Position zu Israel und Palästina“.

Inge Günther lebt seit 20 Jahren in Israel und ist langjährige Nahost-Korrespondentin der FR. Auch sie habe eine kritische Haltung gegenüber Nahost, habe aber „als Journalistin eine gewisse Distanz zu dem Thema“. Regierung und Gesellschaft in Israel etwa seien nicht identisch. Das zeige sich unter anderem in der aktuellen 8-Parteien-Koalition, in der „die rechten Kräfte dominieren“. Die Mixtur Israels aus orientalischen Juden, arabischen und jüdischen Israelis, Palästinensern, zionistischen Siedlern sowie Orthodoxen zeige einerseits, dass ein „normales israelisches Leben möglich ist“, so Moderatorin Carola Benninghoven, sei aber nach Worten von Günther ebenso die Grundlage für immer wieder ausbrechende Konflikte.

„Ich kannte viele Leute dort und `der rote Dany` ist auch in Israel sehr bekannt“, sagt Cohn-Bendit. So sei die Kommunikation mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten des Films problemlos gewesen. „In Israel kennt jeder jeden, und jeder redet mit jedem. Deshalb kommt man leicht ins Gespräch“, so der Publizist und Ex-Grünen- und Europapolitiker. „Wir wollten niemanden vorführen, sondern die gezeigten Personen für sich sprechen lassen und somit dem Publikum erlauben, sich ein eigenes Bild von der jeweiligen Situation und Meinung zu machen.“ Dieses Szenario wiederum sollte auch ihm helfen, der eigenen Identität näher zu kommen: Es gehe nicht um eine absolute Wahrheit, sondern um ein subjektives Empfinden und Selbstverständnis: „Ich bin ich, ich bin aber nicht die Juden“.

Nach seiner Ausweisung aus Frankreich als einer der Wortführer der Studentenproteste 1968 seien 100.000 Studenten auf die Straße gegangen und hätten – solidarisch mit ihm – skandiert: Wir sind alle deutsche Juden. Eine solche Parole sei 1968 in Frankreich zwar unfassbar gewesen, meint Cohn-Bendit, aber „so ist meine Realität zu dem Film gekommen“ und habe letztlich zum Titel geführt.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 12. Januar 2022

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Bild: v.l.n.r. Ali Sadrzadeh, Iran-Experte und langjähriger Redakteur bei dpa, FR und hr info, und Dr. Irene Rosenkötter, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil (FATRA e.V.), mit naxos-Moderatorin Christina Budde im Gespräch mit den Gästen. Born in Evin lief am 2. November 2021 im naxos-KINO-

Die Schauspielerin Maryam Zaree geht als Filmemacherin in ihrem ersten Dokumentarfilm „Born in Evin“ den Umständen ihrer eigenen Geburt 1983 in einem der berüchtigsten politischen Gefängnissen der Welt nach: Das Gefängnis Evin liegt am nördlichen Stadtrand von Teheran Nach dem Sturz des persischen Schahs 1979 lässt die neue Führung unter Ayatollah Khomeini unzählige politische Gegner verhaften, foltern und ermorden. Darunter auch ihre Eltern, die jedoch überleben und nach Deutschland fliehen können. In der Familie wurde nie über die Gefängnisfolterungen gesprochen. Zaree versucht, das jahrzehntelange Schweigen ihrer Eltern über die erlebten Traumata zu brechen. Während ihrer vierjährigen Recherchen gelingt es ihr jedoch nur schwer, weitere Betroffene zum Reden zu bringen. Dabei trifft sie auf andere Überlebende, Menschen, die wie sie auch in Gefangenschaft geboren wurden.

„Menschen, die jahrelang Gewalt ausgesetzt waren, erleiden ein psychisches und seelischen Trauma, wie im Film gezeigt“, sagte Irene Rosenkötter. Der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie zufolge sei bei ihnen „das Grundvertrauen erschüttert“. Deshalb wird das überwältigende Erlebnis nicht in die Wahrnehmung übernommen und kommt – wenn überhaupt – erst später zur Sprache: „Das Nicht-Gesagte hat eine ausgesprochene Macht“. Menschen verstummten, weil vieles Traumatisiernde nicht in Sprache zu fassen sei, sodass Emotionen in tiefen Sphären nicht verarbeitet werden. Der Film belege, dass sich Mutter und Tochter durch nicht gestellte Fragen, durch nicht Gesagtes gegenseitig zu schützen versuchen, meinte Moderatorin Christina Budde. So werde das Unverarbeitete an die Kinder weitergegeben, ergänzte Rosenkötter.

Ali Sadrzadeh ist ein iranischer Zeitzeuge, der nach dem Schar-Sturz nach Deutschland ging. 1985 hatte er der hr-Redaktion eine Story über eine iranische Flüchtlingsfrau angeboten, die gerade mit ihrer kleinen Tochter, der heutigen Filmemacherin, in Frankfurt angekommen war. In einem ersten Gespräch mit der Mutter, der heutigen Frankfurter Bürgermeisterin Eskandari Grünberg, erfuhr er, „dass viel Erzählen verwirrt, Schweigen also besser ist“. Das Schweigen spiele in der iranischen Gesellschaft eine wichtige Rolle, so Sadrzadeh. „Aus Sicht von Exiliranern ist das Schweigen Mittel zum Überleben.“ So dürfe es sich die erste Generation der Traumatisierten erlauben, zu schweigen, um zu überleben.

Rosenkötter verwies in diesem Zusammenhang auch auf das lange Schweigen in Israel und der Bundesrepublik Deutschland nach der Befreiung vom Holocaust. Auf beiden Seiten sei lange Zeit der Standpunkt vertreten gewesen: Ich musste in erster Linie mein weiteres Leben leben. Rosenkötter bezeichnete den Film als „komplex, da die Traumata von unterschiedlichen Seiten beleuchtet sind“. Sadrzadeh fühlte eine enge Beziehung, da der Film „den schmerzhaften Prozess einer Kindheitsbewältigung berührend und bewegend aufzeigt“.

Rolf Henning

Zuletzt aktualisiert: 12. Januar 2022