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Reise in den Herbst: Den Rechtsstaat nicht durch Polizeirecht ersetzen

Bild: Naxos-Moderator Wolf Lindner (l.) mit den Gesprächsgästen Daniel Röder (Pulse of Europe, 3.v.l.,), Opel-Mitarbeiter Paul Fröhlich (4.v.l.), Alexis Passadakis (Attac, 2.v.r.) und Filmregisseur Martin Keßler (r.).
Deutschlandpremiere: Rund 250 Besucher wollen am 19. September 2017 im naxos.Kino an der 140-minütigen „Reise in den Herbst“ des Frankfurter Filmemachers Martin Keßler teilnehmen. 150 von ihnen kann das Kino fassen. Für die restlichen 100 wird spontan ein Monitor im Bistro installiert, sodass alle an der geplanten Reise teilnehmen können. Nach 140 Minuten füllt Applaus die Räume.
Es brodelt überall.
In seiner Dokumentation setzt sich Keßler mit der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Menschen in diesem Land auseinander. Er startet im Januar von Frankfurt aus nach Koblenz: Treffen der führenden europäischen Rechtspopulisten. In Würzburg begleitet er die Kanzlerin zum Diözesenempfang. Auf dem Berliner Breitscheidplatz brennen noch die Kerzen für die Opfer des Terroranschlags auf dem Weihnachtsmarkt. Er interviewt einen AfD-Funktionär und befragt einen Historiker. In Sachsen-Anhalt trifft er den Initiator der Montagsdemos gegen Hartz IV, in Bochum und Rüsselsheim spricht er mit enttäuschten Opel-Mitarbeitern, in Frankfurt mit Menschen, die gegen die Mietpreisexplosion auf die Straße gehen. Er begleitet eine „Pulse-of Europe“-Demo, dreht auf dem SPD-Parteitag die 100 %-Wahl von Martin Schulz, erlebt in Nürnberg eine Demo gegen eine geplante Abschiebung eines Berufsschülers nach Afghanistan und reist zur Beerdigung von Helmut Kohl. Vorläufiges Ziel und Gipfel ist das G20-Treffen im Juli in Hamburg.
Wir brauchen Mut
Moderator Wolf Lindner geht zu Beginn des Filmgespräch ins immer noch zahlreiche Publikum und fängt spontane Stimmen zum Film auf: große Bereitschaft, sich an gesellschaftlichen Veränderungen zu beteiligen, inspirierend und gleichzeitig schockierend – wir müssen die Ungleichheit verändern, die AfD verhindern, um die Demokratie nicht zu verlieren, man kriegt Angst, dass die Demokratie – auch in Europa – eingeschläfert wird, wir brauchen Mut, um den Sozialabbau zu verhindern.
Gefährliche Wirklichkeit hinter beschaulichem Bild
Keßler zufolge werde so getan, als ginge es allen gut. Doch hinter dem beschaulichen Bild macht er eine gefährliche Wirklichkeit aus: Renationalisierung und fortschreitende Polarisierung zwischen Arm und Reich aufgrund einer etablierten Wirtschaftsordnung, Rechtspopulismus, Klimakatastrophe, Flüchtlingspolitik und Wut aufs Establishment. „Hinzu kommt, dass wir in einer von den Mainstreammedien gehypten Landschaft leben. Wenn wir nichts ändern, werden wir bürgerliche Freiheiten aufgeben müssen.“
Rechtsanwalt Daniel Röder von Pulse of Europe sieht darüber hinaus die Gefahr, dass Europa an nationalen Egos zerbricht. Seine Organisation organisiere Demos, um die Menschen zur Wahl demokratischer Parteien zu motivieren: „Wir sind parteiübergreifend“.
Paul Fröhlich, Opelianer aus Rüsselsheim, sieht den Kapitalismus eindeutig nach rechts wandern, wohin ihm die Politik schnurstracks folge. Er ist jedoch zuversichtlich, dass sich die Menschen dagegen wehren: „Wir engagieren uns aktiv gegen den Rechtsruck und Anti-Kommunismus. Wir setzen auf Bildung, Ausbildung und Integration“.
Laut Alexis Passadakis von Attac solle „eine Gewinner-Verlierer-Gesellschaft als etwas Normales dargestellt werden, dagegen schreiten wir ein“. Seine Organisation rufe zwar zu Demos auf, aber Sachgewalt ja, Personengewalt nein. Röder erwidert, Gewaltdemos seien kein Kennzeichen für eine bessere Welt.
Gegen die Einseifung durch die Medien
Gewaltlose Massendemonstrationen könnten etwas bewirken gegen die Einseifung durch die Medien, meint Keßler. Schließlich habe die Öffentlichkeit die Aufgabe der Kontrolle. Denn die Öffentlichkeit sei der Raum, der entscheiden müsse, was machbar ist und was gemacht werden muss. „Protest ist keine Gewalt, kein kriminelles Delikt. Unser Rechtsstaat darf nie durch Polizeirecht ersetzt werden.“
Passadakis sieht in dem Film auch „ein Requiem für die etablierten Parteien“, die national wie international abbröckelten und keine Funktionen mehr hätten.
Fazit: Die zahlreich vorhandenen solidarischen Strömungen gegen eine Inszenierung von Wirtschaft und Politik haben leider immer noch nicht zueinander gefunden.
Premiere zur Bundestagswahl: Reise in den Herbst
Am 19. September 2017 läuft im naxos.Kino wieder mal eine Premiere: Filmemacher Martin Keßler stellt um 19.30 Uhr seine neue Dokumentation „Reise in den Herbst“ vor. Der Film sei mal wieder mit der heißen Nadel genäht, sagte Keßler, erst kurz vor diesem Abend sei er fertig geworden, naja, fertig sei halt Ansichtssache. Der Film ist mit Ziel auf die Bundestagswahl realisiert worden. So haben die Veranstalter für den Abend ausnahmsweise fünf Gesprächsgäste (statt ansonsten zwei) eingeladen. „Gehen Sie also nach dem Film nicht gleich nach Hause, denn die Diskussion wird bunt und vielfältig“, sagt Wolf Lindner vom naxos.Kino.
„Wenn wir DIE nicht hätten…!“, hörte Lindner , während der früheren Premiere eines Keßler-Films einen Besucher vor sich hin reden. Dem konnte er nur zustimmen. Denn die Rede war von einem zunehmenden Skandal, was die „Entlohnung“ der Dokumentarfilmer betrifft. „Seit Jahrzehnten schmücken sich die Fernsehanstalten mit den wenigen klassischen Dokumentarfilmen, die sie senden – ihrer zwölf im ganzen Jahr“, klagt Lindner. Aus dem Fernsehprogramm verschwänden sie mehr und mehr oder sie rutschten mit ihrer Sendezeit immer weiter in die Nacht hinein. „Die kleineren Dokumentarfilmer und Rucksackproduzenten leben von der Selbstausbeutung oder vom (Ehe-)Partner, nicht wenige müssen zum Sozialamt“, so Lindner weiter. Unter diesen Umständen sei es fast schon ein Wunder, dass so viele gute bis hochklassige Dokumentarfilme in Deutschland entstehen. Dennoch freut sich der Gründer vom naxos.Kino über den eingeschlagenen Weg: „Wir haben für unsere rund 48 Kinoabende im Jahr sozusagen die freie Auswahl an Filmen, mit denen wir versuchen, unser Publikum über verschiedene aktuelle Themen umfassend zu informieren“.
Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten
Mehr als einmal hat die Zeitgeschichte das Naxos.Kino eingeholt: Ein altes Thema wird plötzlich wieder brandaktuell. „Vor zehn Monaten war Nordkorea ein alter Hut, derzeit wird es wieder mal spannend, weil der amerikanische Präsident und sein nordkoreanischer Kollege einen Dritten Weltkrieg ein ganzes Stück näher gerückt haben“, so Wolf Lindner, Gründer der Naxos-Kinogruppe. Der Film „Im Strahl der Sonne“ (12.09.2017, 19.30 Uhr) zeigt viel Interessantes aus dem „Eingemachten“ Nordkoreas: Der ukrainisch-russische Filmemacher Vitali Mansky hat unter erheblichem Aufwand eine Drehgenehmigung in Nordkorea erhalten. „Dort wurde er rund um die Uhr vom Sicherheitsdienst beschattet. Dennoch sind ihm zahlreiche heimliche Aufnahmen gelungen, mit denen er die totale Inszenierung einer heilen Welt entlarven konnte“, sagt Gerd Becker, Vorstandsmitglied der Naxos-Kinogruppe, zum politischen Hintergrund. Damit habe er persönlich eine Inhaftierung und Schlimmeres in Nordkorea riskiert. „Gerne hätten wir ihn beim Filmabend dabei gehabt“, so Becker weiter, „aber leider ist er zu der Zeit bei einem Filmfestival in Lettland“.
Harter Stoff auf Naxos: Filmgespräch „Bertolt Brecht – Bild und Modell“

Bild: Wolfgang Voss (2.v.r.) ist ein erfahrener Naxos-Moderator. Zu dem anspruchsvollen Filmgespräch hatte er die Schauspieler des WuWei-Theaters, Andreas Wellano (l.) und Angelika Sieburg (2.v.l.) sowie Nikolaus Müller-Schöll von der Goethe-Uni (r.) eingeladen.
Bei aller Hochachtung vor den Ambitionen des 2015 verstorbenen Filmemachers Peter Voigt und des Verleihs: „Bertolt Brecht – Bild und Modell“ ist ein Film, der eigentlich ausschließlich auf absolute Brecht-Fans zugeschnitten ist. Umso erstaunlicher, dass das naxos-Kino am 5. September 2017 zu dreiviertel gefüllt ist.
Vorbemerkung: Voigt war von April 1954 bis 1958 als Regie- und Dramaturgie-Assistent am Berliner Ensemble engagiert. Gleich zu Beginn war er von Brecht beauftragt worden, das zu dessen privater Bibliothek gehörige Manuskript-Archiv sowie seine Sammlung grafischer Arbeiten zu sichten und zu ordnen. Darüber hinaus erlebte der spätere Regisseur zu Brechts Lebzeiten unter anderem die Probenarbeiten an den Inszenierungen von „Der kaukasische Kreidekreis“ und „Leben des Galilei“, in denen er bisweilen auch kleinere Darsteller-Aufgaben zu übernehmen hatte.
Brecht selbst war der vermutlich einflussreichster deutsche Dramatiker und Lyriker des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts. Seine verborgene Leidenschaft galt jedoch dem Film und der Fotografie. Und diese Leidenschaft hatte Einfluss auf sein dramatisches Werk, denn Brecht ließ es sich nicht nehmen, Szene für Szene seiner Inszenierungen abzufotografieren und so eine Art Drehbuch der jeweiligen Aufführung zu fixieren. Bereits 1931 ließ er Filmaufnahmen von zentralen Momenten seines Stückes „Mann ist Mann“ anfertigen. Immer wieder entstanden Zeitrafferfilme von Theaterproduktionen und aufwändig gestaltete, szenische Collage-Hefte, die die Grundlage des Films darstellen.
Zurück zum Filmabend: Etwa 15 Minuten vor Filmende verlassen in kurzen Abständen etwa 15 bis 20 Besucher das Kino. Ich folge ihnen, treffe sie vor dem Kino bei einem Drink wieder und frage, warum sie gegangen sind. „Ratlos“, „überfordert“, „zu intellektuell“, „da komme ich nicht mehr mit“, „langweilig“, „so gut kenn ich Brecht nun auch wieder nicht“, lauten einige der Antworten. Um die leichte Befremdung etwas abzubauen, improvisiere ich ein kleines „Brecht-Quizz“ und verteile Punkte auf richtige Antworten. Das und die Drinks heben die Stimmung wieder. Dann kommen die Besucher, die bis zum Schluss durchgehalten haben und alles versammelt sich zum Filmgespräch.
Naxos-Moderator Wolfgang Voss, der an diesem Abend sein 40. Filmgespräch! (Glückwunsch!) leitet, fragt in die Runde, wie der Film gefallen habe: Schweigen. Angelika Sieburg vom WuWei-Theater, die seit 50 Jahren Theater macht, ist schockiert, dass Brechts Arbeitsbuch jede Szene genauestens festlegt. Sie sagt: „Ein starker Akteur spielt eine Brecht-Rolle individuell“. Ihr Kollege Andreas Wellano sagt, er habe immer Fotos herangezogen, um einer Rolle zu begegnen. Ihr WuWei-Theater repräsentiere die Kunst des Weglassens: „Durch Nichtstun etwas tun“.
„Brecht zu entdecken, ist eine Detektivarbeit“, meldet sich Nikolaus Müller-Schöll von der Goethe-Uni zu Wort. Brechts Wahrnehmung orientiere sich im Grunde an Goethe. So habe die Kultur von Weimar die klassische Produktion der Illusion vorgeliefert. Doch mit Brechts Modellbüchern solle dieser Entwicklung entgegengewirkt werden – nach dem Motto „Mich interessieren Eure Gesten, nicht Eure Psyche“.
Voss fragt beide Schauspieler, wie sie zu Brecht stehen. Angelika Sieburg: „Wir hatten das Glück, Brecht zu begegnen, haben uns aber von ihm wegentwickelt. Viele seiner Stücke haben wir in den USA und China mit nur zwei Personen gespielt“. Andreas Wellano: „Ein Theaterstück gehört allen. Bevor wir ein Stück spielen, improvisieren wir drei Monate. Irgendwann findet dann jeder seine Rolle. Das Arbeiten im Kollektiv war anfangs eine völlig neue Erfahrung“.
Was denn Theater heute ist, will Moderator Voss wissen. Darauf Sieburg: „Das Epische Theater lief bis Ende der 90-er Jahre, es folgte ein post-dramatischesTheater. Heute liegt der Fokus auf dem partizipativem Theater, Leute einbeziehen. Aber nach wie vor existiert das komödiantische Theater – man muss ja auch von was leben“.
Müller-Schöll charakterisiert den Film als „Hinterlassenschaft von Brecht und Voigt“. Letzterer konnte darin als absoluter Brechtkenner brillieren. Das Epische Theater eines Bertolt Brechts sieht der Vertreter der Goethe-Uni als ein „Theater der Unterbrechung, Dialektik im Stillstand“. Theater müsse heute die Möglichkeit des Aufarbeitens in jeder Gesellschaft beinhalten. „Aufgrund dieser Erfahrungen kommen wir heute immer noch auf Brecht zurück.“
Bertolt Brecht wäre heute bestimmt Mitglied im Naxos.Kino
In der Dokumentation „Bertolt Brecht – Bild und Modell“ von Peter Voigt (verstorben 12.
März 2015) treffen persönliche Erinnerung, Werkkenntnis, Forschungsinteresse und
Anekdoten zum lebendigen Andenken an den wichtigsten deutschen Dramatiker des 20.
Jahrhunderts zusammen.
Als der Regisseur Peter Voigt, ehemaliger Regieassistent Brechts am Berliner Ensemble, 2004 eine Mappe mit Bildern und Bildtexten aus dem amerikanischen Exil findet, verfolgt er diese Spur und entdeckt, dass Brecht immer schon mit Fotografie und Film gearbeitet hat. Voigt stellt für diesen Film seltenes und nie gezeigtes Film- und Fotomaterial zu einer spannenden Collage zusammen. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Erdmut Wizisla, dem Leiter des 1956 von Helene Weigel gegründeten Bertolt-Brecht-Archivs (Akademie der Künste, Berlin) bildet die dramaturgische Klammer des Films.
Dazu Wolf Lindner vom Naxos.Kino: „Wenn Bertolt Brecht heute leben würde, wäre er bestimmt Mitglied bei uns im Naxos.Kino. Die Vielfalt der Filme und der Arbeiten, die es zu bewältigen gilt, hätte ihm besonders gut gefallen. Er – Brecht – war ein Wanderer zwischen den Grenzen, die zu überschreiten er über die Maßen liebte“.
Bertolt Brecht – Bild und Modell
von Peter Voigt und Sebastian Eschenbach
Dienstag, 5. September 2017 um 19:30 Uhr in der Naxoshalle, D 2006, 80 Min.
„Neben Shakespeare der größte Theaterautor“ Molière: Theaterfilm statt Filmgespräch

Vier volle Filmstunden im naxos.Kino am 29. August 2017 – da bleibt keine Zeit mehr für das traditionell anknüpfende Filmgespräch. In rauschenden Bildern einer Zeit voller Widersprüche, geprägt von bitterer Armut und dekadentem Luxus, Scheinheiligkeit und Freidenkertum, grausamer Repression und ausschweifender Volksfeste erzählt der Film in der naxos-Reihe „Große Theaterfilme“ die ergreifende Geschichte eines Mannes, der bis zur Erschöpfung unermüdlich für seine Kunst kämpft. „Molière“ ist eines der Meisterwerke der international gefeierten, heute 78-jährigen Theatermacherin Ariane Mnouchkine.
Sein bürgerlicher Name ist Jean-Baptiste Poquelin. Berühmt wurde der französischer Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker jedoch unter dem Namen „Molière“ (1622 – 1673). Er ist einer der großen Klassiker und machte die Komödie zu einer der Tragödie potenziell gleichwertigen Gattung. Vor allem erhob er das Theater seiner Zeit zum Diskussionsforum über allgemeine menschliche Verhaltensweisen in der Gesellschaft.
„Molière ist neben Shakespeare der größte Theaterautor, zumindest der westlichen Welt“, sagte Willy Praml, Leiter des gleichnamigen freien Theaters in der Naxos-Halle, während seiner Einführung. Er betonte auch seine enge Verbundenheit zu Mnouchkine. Beide hatten sich als Theaterschüler kennengelernt. Parallelitäten bestünden auch zwischen dem „Theater Willy Praml“ und der „Cartoucherie“, einer alten Munitionsfabrik in der Nähe von Vincennes. Dort leitet sie seit 1970 das weltberühmt gewordene „Thèatre du Soleil“. So seien die Theater beider auch immer politisch, aber nie doktrinär, ergänzte Praml.
Das „Théatre du Soleil fasse jedoch 800 Besucher und sei jeden Abend ausverkauft. „Als Theatermann muss man einfach eine Theaterwalfahrt dorthin unternommen haben, ich kann nur jedem empfehlen, einmal dorthin zu gehen“, sagte Praml. Die Aufführungen dauerten bis zu acht Stunden, verbunden mit dreigängigen Menüs und gutem Wein – und Mnouchkine selbst reiße die Eintrittskarten ab.
Eigentlich sollte die Theatermacherin an diesem Abend im naxos.Kino anwesend sein. Doch eine bereits vor längerer Zeit geplante Japanreise zum dortigen No-Theater hatte das verhindert. Ihr Besuch wäre dann verbunden gewesen mit der Entgegennahme des Goethepreises. Diese mit 50.000 Euro dotierte höchste Frankfurter Auszeichnung war ihr tags zuvor – auch in Abwesenheit – verliehen worden. An die rund 200 Gäste im Kaisersaal des Römers wandte sie sich jedoch per Videobotschaft und dankte ihnen und der Jury auch im Namen ihrer gesamten Gruppe vom Schauspieler bis zum Gebäudetechniker für die Auszeichnung. Sie bat aber auch um Verständnis, dass sie nach 50 Jahren noch einmal dorthin zurückgekehrt sei, wo die spirituellen Wurzeln ihrer Arbeit lagen. Denn sie wolle in Japan ergründen, ob sie noch Kraft genug habe, ein neues Großprojekt aufzulegen oder sich zurückziehen und ihr Theater in andere Hände übergeben solle.
Bild:
Theaterleiter Willy Praml führte die Besucher in den Film, in das „Théatre du Soleil“ und in die Person Ariane Mnouchkine ein.
Filmgespräch: Blues March – der Soldat Jon Hendricks „Double Victory" über Nazis und Rassendiskriminierung

Mit inzwischen 96 Jahren lebt der Titelheld noch immer den Jazz-Blues. Das naxos.Kino zeigte am 22. August 2017 eine Dokumentation über den weltweit gefeierten Musiker, der als 22-jähriger farbiger Soldat Ende des Zweiten Weltkriegs wegen Rassendiskriminierung aus der US-Armee desertierte. Zum anschließenden Filmgespräch kam Regisseur Malte Rauch.
Der afroamerikanische Jazzmusiker Jon Hendricks hat im Zweiten Weltkrieg, wie unzählige andere schwarze GIs, gegen Hitlerdeutschland und gleichzeitig gegen die Rassendiskriminierung in den eigenen Truppen gekämpft. Und dies an zwei Fronten: einerseits gegen die Nazis, andererseits als schwarzer GI der US Army gegen Rassismus in den eigenen Reihen. Ein Krieg, der mit einem doppelten Sieg endete, obwohl Hendricks nicht einen einzigen Schuss abfeuerte. Diese dramatische „Double Victory"-Geschichte erzählte er Malte Rauch, der ihn an einige Orte seiner vergangenen Abenteuer in der Normandie, Frankreich, und nach New York City begleitet hat. Es ist auch eine Geschichte des Jazz: von der damals verbotenen und verachteten „Negermusik" zum heute strahlenden und anerkannten Teil der Musikkultur.
Die Besucher machten dem Regisseur „ein großes Kompliment“, insbesondere auch für die Übersetzung mit leichtem US-Slang. „In den USA lief der Film leider nur in schwarzen Kinos in Harlem und Brooklyn“, bedauerte Rauch, die Premiere sei aber immerhin in der Kirche gelaufen, in der Martin Luther King seine letzte Rede gehalten hatte. Die Hälfte des Filmmaterials stamme kostenlos aus dem staatlichen US-Archiv. Um an die Aufnahmen farbiger Soldaten zu gelangen, musste sich Rauch an eine „schwarze Universität“ wenden. Auch habe das Rundum-Kino in der Normandie viele kostenlose Aufnahmen von Kriegsgräbern, Toten und kämpfenden Soldaten geliefert.
Zeitungsberichte über Hendricks hatten sein Interesse am Thema geweckt: „Ich dachte, eine schöne Geschichte. Aber der Weg bis zur Verfilmung dauerte mehrere Jahre“. Aber dann habe Hendricks ihm die Arbeit leicht gemacht durch seine lockere Art. Schwieriger war es, den Musiker einerseits, den Soldaten andererseits zu einem Bild zusammenzufügen. „Insofern könnte der Film etwas verharmlosend wirken“, sagte Rauch. Der Film mache auf jeden Fall Mut, war von den Besuchern zu hören. Einer wollte eine CD kaufen, um den Film ehemaligen gemeinsamen Schulkameraden in privater Runde zu zeigen. „Gern“, erwiderte Rauch, „dann sehen sie, dass auch aus mir etwas geworden ist, obwohl ich zwei Mal sitzen geblieben bin“.
1944/ 45 nannten sich die diskriminierten farbigen Soldaten in der US-Army „Black Panthers“. Das sei womöglich die Quelle für die Black Panther-Bewegung von 1968 gewesen. Konkrete Belege lägen jedoch nicht vor. Zuvor im Korea- und parallel im Vietnamkrieg seien farbige Soldaten zwar voll in die Armee integriert gewesen, aber „immer noch bevorzugt als Kanonenfutter“ eingesetzt, so Rauch. Heutzutage engagiere vor allem die Firma „Black Water“ „schwarze Soldaten“ für internationale Einsätze.
Insgesamt müsse man bei Jon Hendricks immer etwas zwischen Dichtung und Wahrheit differenzieren, meinte Rauch schmunzelnd. So berichte Hendricks Tochter, der Musiker erzähle zwar immer dieselbe Geschichte, diese aber immer etwas anders. „Aber er ist ein guter Erzähler, der fasziniert.“
Bild:
Regisseur Malte Rauch (l.) mit naxos-Moderator Wolf Lindner.
Barak Obama zitiert Nelson Mandela zu Rassismus

"No one is born hating another person because of the color of his skin or his background or his religion...",
"Niemand hasst von Geburt an jemanden aufgrund dessen Hautfarbe, dessen Herkunft oder dessen Religion."
Barack Obama nach dem Mord und den gewalttätigen Übergriffen von Recthtsextremisten am 12.09.17 in Charlottesville.
Filmgespräch: Hubert von Goisern – Brenna tuat´s schon lang „Nichts tun kann ich erst, wenn ich tot bin“

Bild: Naxos-Moderator Wilfried Volkmann (r.) mit Gesprächspartner und Goisern-Kenner Joachim Diesner.
Marcus H. Rosenmüller, Kultregisseur des modernen bayerischen Heimatfilms, setzt 2015 dem aus dem Salzkammergut stammenden Alpinrocker Hubert von Goisern ein filmisches Denkmal. Nicht umsonst trägt seine mitreißende Hommage den Titel „Brenna tuat´s schon lang“, denn in Zeiten von Gier und Egoismus besticht die Dokumentation über den Alpenrock mit Poesie und Provokation. Hubert von Goisern beweist darin, dass der wahre Sound des Alpenraums fernab von Musikantenstadl und Volkstümelei liegt.
Darüber konnten sich die zahlreich erschienenen Besucher am 8. August 2017 im naxo.Kino ihr eigenes Urteil bilden. „Ein sehr facettenreicher Film“, „Eigentlich wollte ich gar nicht kommen, gut, dass ich es mir anders überlegt habe“, „Ich werde in eins seiner Konzerte gehen“, waren nur einige Spontanreaktionen. Auch Naxos-Moderator Wilfried Volkmann wollte den Film „nicht großartig zerreden“, hatte aber mit Musikliebhaber und Goisern-Kenner Joachim Diesner einen kompetenten Gesprächspartner eingeladen. Goisern lege momentan eine Pause ein, aber er komme wieder auf die Bühnen, meinte Diesner. Wie im Leben, so ziehe es ihn auch dort nicht besonders in den Vordergrund, was vor allem bei gemeinsamen Auftritten mit anderen Musikkulturen ersichtlich sei, etwa mit Musikern aus Westafrika, Bulgarien, Ägypten oder der Cajun-Musik des weißen US-Südens. „Hubert tut immer was, auch wenn er nichts tut“, ergänzte Volkmann in Anspielung an das Goisern-Zitat: „Nichts tun kann ich erst, wenn ich tot bin“.
Musikalisch wird der heute 65-jährige Goisern der Neuen Volksmusik zugerechnet. Geläufiger ist der Begriff Alpenrock. In vielen Kreisen gilt er als Erfinder dieses Genres. Seine Musik ist eine Mischung aus moderner Rock- und Alpiner Volksmusik. Signifikant dafür ist das in seinen Liedern klangliche Erscheinen der Ziehharmonika, was durch das Spielen der E-Gitarre ausgeglichen wird. Basierend darauf verbindet er seinen Stil auch mit Musikarten wie Reggae, Soul, Jazz und Punkrock. „Goisern schreibt auch seine Texte selbst. Sie haben Tiefgang. Aber er schreibt im Dialekt, so dass man sie übersetzen muss“, sagte Diesner.
Als Zehnjähriger lernte Goisern Trompete, dann Gitarre und Klarinette. Die Harmonika, die ihm sein Großvater schenkte, erlernte er im Selbststudium erst Mitte seiner dreißiger Jahre. Mit 27 entschied er sich, fortan als Musiker zu arbeiten. In Toronto studierte er zwei Jahre lang Gitarre und lernte Flamenco zu spielen. Nach der Trennung von seiner Frau ging er erneut auf Reisen und blieb längere Zeit auf den Philippinen, wo er das Spielen der Nasenflöte erlernte und durch den Austausch der jeweiligen Volksmusiken langsam einen Zugang zu seinem eigenen musikalischen Stil fand.
1986 gründete er die „Original Alpinkatzen“. Dazu gehörte auch Sabine Kapfinger (Alpine Sabine, später Zabine) als Sängerin, von der er das Jodeln lernte. Der Durchbruch gelang 1992. Die Band tourte durch den gesamten deutschsprachigen Raum und wurde zu einer der erfolgreichsten Formationen des Alpenrocks. Eine Blitztour führte sie 1994 nach Paris, San Antonio und Austin (Texas) sowie nach New York. Anschließend wirkte Goisern als Schauspieler und Komponist von Filmmusiken. Ab 1999 arbeitete er wieder als Musiker mit eigenen Kompositionen. Konzerte führten die neue Gruppe unter anderem nach Sarajevo und Kap Verde. Im Januar 2005 trat die Band beim „Festival au Desert“ in Mali auf.
Bis 2009 bereiste er mit einem kleinen Schiffsverband, ein zur Bühne umgebautes Frachtschiff von 77 m × 12 m und ein Wohnschiff, beginnend mit der Donau, mehrere Flüsse des Kontinents. Dabei gab es in zahlreichen Städten gemeinsame Konzerte mit Musikern aus den jeweiligen Ländern. Die Reise führte donauabwärts bis zum Donaudelta am Schwarzen Meer. 2008 ging es stromaufwärts über Passau und Regensburg, dann über den Main-Donau-Kanal zum Rhein und bis Rotterdam. Dazu Joachim Diesner: „Mit der Bootsfahrt Ost und der Bootsfahrt West unternahm Hubert von Goisern den Versuch, eine europäische Verbundenheit im Sinne der EU herzustellen“.
Von Ende 2010 bis Frühjahr 2011 war er aber dann zur Abwechslung mal wieder auf Wirtshaustournee in Österreich und Deutschland. Insgesamt beleuchte der Film die innere wie auch die äußere Reise, die Goisern in seiner langen Karriere zurückgelegt und auf der er schließlich seinen eigenen Stil aus Heimat und Fremde gefunden habe, so das Fazit von Wilfried Volkmann. Noch einmal zitierte er abschließend den Musiker: „Es kommt immer darauf an, das man was macht. Und ich mache was“.
Filmgespräch:Palmyra – Menschen in Ruinenlandschaften

Bild: Filmemacher Hans Puttnies und Moderatorin Barbara Köster
„Die Kultur im Wandel ist sehr gut dargestellt“, so fasste ein Besucher das Filmgespräch am 25. Juli 2017 im Naxos-Kino zusammen. Regisseur Hans Puttnies, der innerhalb von eineinhalb Jahren seinen Dokumentationsfilm „Palmyra“ gedreht, geschnitten und zusammengestellt hatte, nahm das Kompliment gern an: „Das ist ein gutes Schlusswort“.
Puttnies hat 2008 als einziger die Tempel, Türme und Skulpturen der 2015 vom IS zerstörten Ruinenlandschaft gefilmt. Damit ziele er auf die Unmittelbarkeit des Erlebens ab. So zeige der Film immer nur Gegenwart – 2008 wie auch heute. Was er beklagte, waren fehlende syrische Originaldokumente. Zwar existierten solche, trügen aber vorzugsweise zur Legendenbildung bei. Insofern sei die Überlieferung legendär, da die gefundenen Dokumente hauptsächlich römisch waren: „Mir sind keine originalen Schriften bekannt“. Ein anwesender Besucher aus Syrien protestierte, es gebe tatsächlich originale Schriften, etwa Gedichte aus der Zeit, die allerdings zerstört seien. Hier von einem Verschweigen von Quellen zu sprechen, grenze an „Kulturmord und Propaganda“. Naxos-Moderatorin Barbara Köster rief an dieser Stelle zum „Einhalten der Spielregeln“ auf. Jeder könne hier seine Meinung vertreten, sollte aber ein Gespräch nicht dominieren. Vor allem bei wieder einmal vollem Haus.
Neben viel Historischem zeigte der Film auch die Menschen, die vor dem Krieg von der Ruinenlandschaft Palmyra lebten, in erster Linie von den Touristen. Wo diese früher für drei Tage kamen, legt deren Bus heute nur noch einen dreistündigen Zwischenstopp ein. Entsprechend sind heute nur noch wenige Händler vor Ort und haben ausschließlich billige Massenproduktionen von Postkaten und Ketten im Angebot. Auf den Straßen der benachbarten Stadt waren nur Männer zusehen. Frauen wurden dem Regisseur erst vorgestellt, nachdem er nach den Gründen für ihre Abwesenheit auf den Straßen gefragt hatte: Frauen hielten sich eben in der Küche auf, so die Antworten.
Die Authentizität des Films resultiere vor allem aus dem Drehen mit einer semiprofessionellen Kamera, so Puttnies. Auch seien die Bilder und der Text nirgendwo anders abrufbar. Anfangs habe er einen Stummfilm geplant, habe sich dann aber für eine selbstgesprochene Textunterlegung entschieden. Sein 40 Jahre jüngerer Partner Daniel habe dann die Bilder und Kommentare mit Sound-Effects unterlegt und für jedes einzelne Kapitel der Films eigene Musiksequenzen komponiert, die die jeweilige Stimmung widerspiegelten.
Palmyra könnte heute eins zu eins wieder aufgebaut werden, meinte Puttnies, weil alles vermessen, fotografiert und gefilmt sei. Man wisse also ziemlich genau, wie alles einmal ausgesehen habe. Deshalb müsse ein „neuzeitiges Bildungsbürgertum trotz der Zerstörung keinen allzu großen Bildungsverlust erleiden“. Aus Puttnies´ Worten schwang dennoch Bedauern.